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Im Land des Lächelns
Von Uwe Richter
Das Lächeln der Japaner, in den Wochen nach dem Erdbeben vom 11.3.2011 der Welt vor Augen geführt, ist erwachsen aus den spezifischen Bedingungen der japanischen Natur und Gesellschaft. Es ist Ausdruck des Bemühens um gesellschaftliche Harmonie. Die Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima und deren Bewältigung wird diese Harmonie und das „Immer nur lächeln...“ auf den Prüfstand setzen.
Sie werden Szenen wie diese gesehen haben während der Berichterstattung über Erdbeben und Tsunami in Japan: ein Fischer, dem die Welle das Haus weggespült hat, das Schiff zerstört und die Austernbänke und der ganze Hafen. Er steht vor dem Nichts, murmelt „düstere Zukunft“ - und lächelt! Warum lächelt der, werden Sie sich gefragt haben, der hat doch wahrlich nichts zu lachen!
Das japanische Lächeln.
Die westliche Welt sieht im Lächeln Freude, Vergnügen und Glück, und deshalb hat es dort diese Funktionen. Aber das japanische Lächeln ist nicht nur solch spontaner Ausdruck, es ist auch eine Form der Etikette. Dem japanischen Kind wird beigebracht, üblicherweise durch Beispiel, dass es sich gehört, ein freundliches Gesicht zu zeigen. Es sind die Mütter und Großmütter, die es als Lebenshaltung an die junge Generation weitergeben, und es ist dieses Lächeln der älteren Frauen in Japan, das ausländische Reisende bezaubert. Es ist verinnerlicht. Es ist so etwas wie eine halbbewußte Geste geworden und wird auch beachtet, wenn man sich unbeobachtet glaubt. Jemand versucht die U-Bahn zu erreichen, die Tür schließt vor der Nase. Die Reaktion auf diese Enttäuschung ist fast immer ein Lächeln.
Dieses Lächeln bedeutet nicht Glück.
Niemand ist glücklich, wenn er den Zug verpaßt. Es bedeutet heitere Akzeptanz. In Japan kann dieses Lächeln in extremen Situationen zum Vorschein kommen, es ist zu beobachten bei Hinterbliebenen, die vor einem Grab stehen und Beileidsbekundungen entgegennehmen. Es bedeutet nicht fehlende Trauer. Es beinhaltet vielmehr, daß der größere soziale Zusammenhang wichtiger ist, daß man entschlossen ist, die Mitmenschen, die gesellschaftliche Harmonie nicht zu belasten mit der Zurschaustellung seiner Gefühle, „trotz tausend Schmerzen“. Die konfuzianisch geprägten Chinesen und Koreanern, die sonst so viel gemeinsam haben mit ihren japanischen Nachbarn, und die bei einer Trauerfeier gewöhnlich in rituelle Klage ausbrechen, sehen in dieser Haltung einen Mangel an Pietät.
Wie sind sie zu diesem Lächeln gekommen?
Man mag versuchen, die Antwort in der natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt zu finden. 68,5% der Landfläche Japans sind unbewohnbare Bergwälder, 127 Millionen Japaner leben und arbeiten auf einer Fläche, die der von Bayern und Baden-Württemberg zusammen entspricht. So kommt es, daß in den engen Tälern hinter den Buchten der 200 Meter hohen Steilküste von Iwate Siedlungen mit mehreren zehntausend Einwohnern entstanden sind, Städte wie Takada, das seit 1896 viermal von einer Küstenflutwelle heimgesucht wurde.
Kaum ein Land ist den Naturgewalten derart ausgeliefert, mit oft über zehn Taifunen von Frühsommer bis Herbst, mit Vulkanausbrüchen, Erdbeben, Tsunami („tsu“ bedeutet „Eingang einer Bucht“, „nami“ ist die Welle, es muß deshalb „die Tsunami“ heißen im Deutschen), in Nordjapan kalten und schneereichen Wintern. In der Schule lernen die Kinder, daß die gewaltigen Wassermassen dieser Taifune Erdrutsche und Überschwemmungen hervorrufen, gleichzeitig aber die Voraussetzung sind für den Anbau von Naßreis. Und so versuchen die Menschen mit dieser rauen Natur zu leben, wie es Kenji Miyazawa, einer der beiden großen Dichter Iwates im 20.Jahrhundert, in den Anfangsstrophen seines Gedichts, das in den japanischen Schulbüchern steht, in Anlehnung an das buddhistische Lotos-Sutra ausdrückt: “Selbst dem Regen trotzen und dem Wind (... ) Niemals zürnend, immer friedlich lächelnd“.
Oder in Religion und Sprache. Der Grundton der japanischen Kultur ist buddhistisch, und von allen buddhistischen Strömungen ist es wohl die „Wahre Lehre vom Reinen Land“ (Jōdo Shinshū), die zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert das japanische Denken, Dichtung, Musik, Kunst und Theater am stärksten geprägt hat. Shinran ( 1173-1262), der Gründer dieser Lehre, wird oft verglichen mit Luther, weil er wie jener das Heil nicht in guten Werken, sondern in der Gnade Gottes sieht (dennoch ist kein Fall bekannt, daß einer, der sein Scherflein gegeben hat für die Opfer der Tsunami deshalb beim lieben Herrgott schlechte Karten gehabt hätte). Der Laienbuddhismus der Shin-Lehre ist friedfertig, seine Bereitschaft, mit anderen, mehr asketisch und intellektuell geprägten Glaubensrichtungen in Einvernehmen zu leben, wird von manchen als Mangel an moralischem Impetus und Unterwürfigkeit dem Staat gegenüber angesehen. Allen buddhistischen Schulen gemeinsam ist die Lehre von der Vergänglichkeit der Dinge.
Auch die Sprache ist geprägt vom Buddhismus. Dem Shin-Buddhismus gemäß geschehen die Dinge aufgrund der Gnade des Buddha Amida Nyorai, der uns gut nach Hause kommen läßt (kaerasete itadaku), uns gesund schlafen laeßt. Die alte Dame, die seit Wochen jeden Tag die Asche des Shinmoedake-Vulkans aus ihrem Geschäft fegt, bittet nur darum, „dieser möge so gut sein, aufzuhören“ (yamete itadakitai). Das japanische Wort „arigato“ bedeutete ursprünglich „das Dasein ist kein Zuckerschlecken“, und bekam im 17.Jahrhundert seine jetzige Bedeutung, „danke“. Das Schriftzeichen für „ich“ (ausgesprochen „watashi“) stand ursprünglich für „egoistisch“, und erlangte später die Bedeutung von „das Ego abtöten“. Die Chinesen sind da selbst-bewußter: ihr Schriftzeichen für „ich“ ist eine Hand, die kampfbereit eine Lanze hält.
Im Zaume gehalten wird buddhistische Weltverneinung in Japan jedoch von der ureigenen Naturreligion, dem Shintō. Die Natur ist belebt von Myriaden von Göttern, jeder Berg, Fluß, Stein, Baum ist göttlicher Natur. Der Charakter dieser „kami“ ist ein anderer als der des jüdisch-christlichen Gottes und anders ist das Verhältniss zu ihnen. Ein Buch über Religion in Japan zeigt das Bild eines Apfelbaums, an dessen Stamm eine Axt lehnt: der Gottheit des Baumes wird Verehrung entgegengebracht, aber sie hat auch die Pflicht, Äpfel zu tragen. Erfüllt der Baum diese Pflicht nicht, wird er gefällt. Fatalisten sind die Japaner nicht.
Eher Stoiker. Es gibt keinen Gott, dem man zürnen könnte oder der zürnte – im Altertum ja, nicht mehr seit Shinran. „Wir geben niemandem die Schuld für das Erdbeben“ , sagt Herr Tabata. „Fukushima steht auf einem andern Blatt. Im Augenblick geht es um Schadensbegrenzung. Die Frage nach der Verantwortlichkeit wird zu gegebener Zeit gestellt werden.“ Die Adjektive „apokalyptisch“ und „tragisch“ kommen in japanischen Zeitungen in diesem Zusammenhang nicht vor, der entsprechende religiöse Hintergrund fehlt. Auch das chinesische Konzept des „tianming“, des „Mandat des Himmels“, hat in Japan nie Fuß gefasst. Die rabiate Art der Chinesen im Umgang mit Herrschern, denen wegen Unfähigkeit dieses Mandat entzogen wird, ist den Japanern fremd („Immer nur lächeln“ ist eine wunderbare Melodie, aber Franz Lehár hätte dem Sänger einen japanischen Namen geben sollen, keinen chinesischen). Der Tennō war bis 1945 Gott - auch Menschen, alle verehrungswürdigen, außergewöhnlichen Dinge können Götter sein im Shintoismus - , und einen Gott kann man nicht absetzen. Man kann ihn einsetzen für die eigenen Zwecke, und das haben die Machthaber in Japan über Jahrhunderte hinweg getan.
Ein Schuss chinesischen Widerstandsgeistes täte ihnen gut, möchte man meinen, wenn man die Sprüche von Shintarō Ishihara hört, dem Gouverneur von Tokio, die sich bisher eher gegen Ausländer zu richten pflegten. Die Tsunami bezeichnete er als „Strafe des Himmels“, als eine Chance, „sich reinzuwaschen von Egoismus“. Am 10.April 2000 hatte er die ausländischen Bürger Tokios und viele seiner japanischen Landsleute beleidigt, indem er die Truppen der Tokioter Garnison zur Bereitschaft aufrief im Falle von Unruhen und Plünderungen durch ausländische Imigranten (er schränkte das später ein auf „illegale“) aus China, Taiwan und Korea im Zuge eines Erdbebens. Diesmal nahm er seine Äußerung zwar am darauffolgenden Tag zurück ( es stehen Wahlen an), sie war damit jedoch nicht aus der Welt. Wir wissen nun wie er denkt, kommentierte die Morioka-Times (23.3.2011).
Ishihara ist nicht so dumm wie sein Spruch, er weiß, daß für die Tsunami tektonische Bewegung verantwortlich ist, nicht „der Himmel“. Genausowenig wie für die mißglückte Bewerbung Tokios um die olympischen Spiele 2016 und die dadurch verlorenen Steuergelder. Ob „Sonnenkönig“ Ishihara (sein Roman „Jahreszeit der Sonne“ hatte Ende der fünfziger Jahre die hedonistische Generation der „Sonnenjünger“ inspiriert) als Fahnenträger eines Kreuzzugs gegen den Egoismus den nötigen Stallgeruch mitbringt, sei dahingestellt, als Populist sucht er sein Süppchen zu kochen mit den unappetitlichen Ingredienzen des Ressentiments gegen Ausländer und des Klischees vom Gegensatz zwischen japanischer Spiritualität und westlichem Materialismus. Sein Aufwiegeln zeigt Wirkung: Eine Lokalzeitung, die Kahoku Shimpō, berichtete, daß in den Evakuierungszentren Gerüchte im Umlauf sind von Plünderungen und Vergewaltigungen durch „Ausländer“ (Japan Times, 27.3.2011).
„Lachen? Einmal in drei Jahren. Auf einer Backe“,
hieß die Devise zur Zeit der japanischen Feudalgesellschaft zwischen dem 17. und 19.Jahrhundert. Die Samurai hatten ihre politische und militärische Bedeutung verloren und waren gezähmt. Ihren Stolz und das Recht ein Schwert zu tragen, hatten sie sich bewahrt, und mangelnde Ehrerbietung eines Gemeinen, ein Lachen an falscher Stelle, konnte diesem den Kopf kosten (kirisute gomen). Noch demonstrieren in Tokio Dreihundert gegen Atomenergie, wenn in Berlin Hunderttausend demonstrieren. Das wird nicht so bleiben. In letzter Zeit hatten die Japaner oft das Gefühl, alle Welt haue nur noch auf sie ein. Die Solidaritätsbekundungen、das „you are not alone“ des Auslands haben sie überrascht und geben ihnen Mut. Das „smily“ der deutschen Anti-Atomkraft-Bewegung tut dem Land des Lächelns gut.
Foto (nicht reproduziert)
Ein Lächeln von Hinata, zum Dank und als Geschenk für all diejenigen in Deutschland und in der Schweiz, die durch eine Spende oder in anderer Form ihre Anteilnahme für die Opfer der Katastrophe bekundet haben.
Hinata Yoshida (3, ihr Vorname bedeutet „Viel Sonne und Windstille“) aus Ōfunato, einer der Hafenstädte an der Sanriku-Küste von Iwate, die von der Tsunami vernichtet wurden, hat von der Freundin einen Brief bekommen. Darauf ist eine große Hand zu sehen, die eine kleine hält, die ein vierblättriges Kleeblatt hält, auf dem ein Schmetterling sitzt. Der Text daneben lautet: „Die Düsternis aufbrechen, auf daß der Stern der Hoffnung den Menschen Mut verleiht. Ein kleiner Spalt genügt. Ihr streckt die Hand nicht vergebens aus. Richtet den Blick auf den Sternenhimmel und in die Zukunft, und die Sonne wird wieder scheinen.“ Die „Tohkai Shimpo“ hat das Foto von Hinata und ihrer Botschaft über eine Auflistung der Namen derer gestellt, die in den Notunterkünften Zuflucht gefunden haben.
source : gensuikin/news
Am 9.4.2011 fand in Aomori, Nordjapan, eine „Anti-Atom-Tag“-Demonstration statt, an der 1200 Menschen teilnahmen.
Karl Uwe Richter
Professor, Morioka, Japan
岩手県立大学 (Iwate Prefectural University)
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Wednesday, April 13
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4/13/2011
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